Woher stammt der Begriff personalisierte Medizin, und was können sich Menschen mit einer rheumatischen Erkrankung davon erhoffen? Bei komplexen Erkrankungen können Krankheitsursache, Ausprägung, Krankheitsverlauf und das Ansprechen auf eine bestimmte Therapie bei jedem Patienten sehr unterschiedlich sein.
Auf dieser Erkenntnis fußt das Behandlungskonzept der personalisierten Medizin. Mediziner forschen daran, Möglichkeiten zu finden, um vorherzusagen, wie die Erkrankung eines individuellen Patienten verlaufen wird und auf welche Medikamente er anspricht.
Dabei gibt es viele verwandte und teils synonym benutzte Wortschöpfungen. Auch die Medizin benutzt gern plakative Schlagwörter, um die Aufmerksamkeit der Gesundheitspolitik, der Patienten, der Ärzteschaft und der Forschungsförderer für aktuelle Themen zu wecken. Häufig genannte Begriffe sind dabei die individualisierte, stratifizierte, patientenzentrierte oder Präzisionsmedizin. Für den Patienten klingt das verheißungsvoll und suggeriert, dass er mit seiner Krankengeschichte in den Mittelpunkt der medizinischen Versorgung rückt. Aber was genau verbirgt sich nun hinter den unterschiedlichen Termini, und was kann der Patient wirklich erwarten?
Ein Konzept mit 2.500 Jahren Geschichte
Der Gedanke der personalisierten Medizin war bereits in der hippokratischen Lehre im fünften Jahrhundert vor Christus bekannt. Auch der bedeutendste Arzt der Antike, Claudius Galenus, rückte ihn ins Zentrum des Handelns eines Arztes. Der große italienische Medizingelehrte Giovanni Battista del Monte führte diesen Gedanken weiter:
- Der gute Arzt hat das Besondere des Einzelfalls in das Allgemeingültige einzuordnen.“
- "Sollte der Arzt die individuellen Unterschiede ausklammern, riskiere er sogar, den Patienten zu töten!"
- "... die modernen Ärzte versuchen, jeden in dasselbe Paar Schuhe zu stecken."
Im letzten Jahrtausend hat der als Vater der modernen Medizin bezeichnete kanadische Arzt William Osler die individuelle Variabilität als Gesetz des Lebens erkannt – und betonte das besonders für Krankheitsprozesse. Heutzutage stehen für die Identifizierung von neuen, therapeutisch und diagnostisch nutzbaren Biomolekülen sogenannte Hochdurchsatztechnologien zur Verfügung, die es erlauben, äußerst effizient Hunderte bis Zehntausende Biomoleküle gleichzeitig zu analysieren. Die Hoffnungen, die man in diese Technologien bei deren Etablierung vor gut zwei Jahrzehnten setzte, waren sehr groß. Dementsprechend unscharf definiert waren zunächst auch die synonym verwendeten Begriffe der personalisierten oder individualisierten Medizin.
Mittlerweile hat sich gezeigt, dass die technologiegetriebene, molekulare Medizin allein nicht in der Lage sein wird, die erhofften Träume zur Früherkennung und Heilung der schweren Volkskrankheiten erfüllen zu können. Daher kann man die Begriffe heute schärfer trennen: Mit dem Begriff der personalisierten Medizin ist dabei die Hoffnung verknüpft, für jeden Patienten eine maßgeschneiderte Therapie mit einer individuellen Therapieprognose anbieten zu können. Die stratifizierte Medizin, oder sprachlich genauer: stratifizierende Medizin, will innerhalb einer Erkrankung Patientenuntergruppen identifizieren, die sich aufgrund bestimmter klinischer, genetischer oder biochemischer Kriterien (Biomarker) sehr ähnlich verhalten.
Personalisierte Medizin in der Rheumatologie
Die Präzisionsmedizin ist ein relativ neuer Begriff und beschreibt vornehmlich den Weg, wie möglichst viele Informationen dazu dienen können, damit der Arzt dem Patienten eine Therapie anbieten kann, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bei diesem anschlagen wird, ohne allzu große Nebenwirkungen hervorzurufen. Die Idee basiert darauf, möglichst umfangreiche klinische und molekulare Daten zu haben, etwa aus Biobanken mit Blut, Urin, Speichel, Gewebeund Stuhlproben. Die Verwendung solch großer, individuell erhobener Datensätze prägte wiederum die Einführung des Begriffes der biomarkerbasierten Medizin. Diese Konzepte werden beispielsweise bei Brustkrebs bereits angewendet. In der Rheumatologie gibt es bislang trotz einer Vielfalt von sehr spezifisch wirkenden Medikamenten leider noch keine zugelassenen, labordiagnostischen Verfahren, die eine Therapiestratifizierung ermöglichen. Zwar gibt es viele neue Erkenntnisse zur Fehlsteuerung des Immunsystems, die zu einer Vielzahl neuer, sehr spezifisch wirkenden immunsuppressiven Medikamenten führte. Dennoch bleibt unklar, warum bei etwa einem Drittel der Rheumapatienten unabhängig vom eingesetzten Medikament keine ausreichende Wirkung feststellbar ist. Daher ist es dringend erforderlich, die Biomarkerforschung weiter voranzutreiben.
Klangvolle Schlagworte sind nicht alles
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Begriffsvielfalt rund um das Thema personalisierte Medizin aus der Erkenntnis hervorgegangen ist, dass moderne Technologien zur Identifizierung neuer Biomarker allein nicht der Schlüssel zum Verständnis von Krankheitsursachen und ihrer individuellen Krankheitsausprägungen sind. Das ist für betroffene Patienten oft schwer verständlich und kann zu fundamental unterschiedlichen Interpretationen führen. Nicht zuletzt warf der Deutsche Ethikrat die Frage auf: „Ist der Patient Nutznießer oder Opfer personalisierter Medizin?“ Entscheidungsträger der Gesundheitspolitik, der öffentlichen Forschungsförderung und der pharmazeutischen Industrie sollten daher neue klangvolle Schlagwörter nur mit Bedacht in den Medien verkünden.
Autor: Dr. Andreas Grützkau
Der Biochemiker leitet die Arbeitsgruppe Immunmonitoring am Deutschen RheumaForschungszentrum Berlin, einem Leibniz-Institut.